Wieder einmal konnte ich gestern eine politische Debatte führen, mit Spaniern aus Sevilla und dem Norden des Landes. Über die Türkei, eine dortige Kunstmesse hat Pablo die Mail Adresse von Valeria erhalten. In den letzten Zwei Wochen machte er mit seinem Freund und Ragel eine Tour an den Aralsee, weiter geht es in den nächsten Tagen über Semipalatinsk in den Norden. Kennengelernt hatten wir uns im Soros Center, bei einer Vernissage vorgestern. Valeria war so entgegenkommend und hat mir alle Englischsprachigen Gäste vorgestellt, darunter hat sich eben auch Pablo befunden. Zum ersten Mal ist er in Zentralasien und er zeigt sich begeistert und offen für Neues. Obschon er auch die etwas spezielleren Momente in Kasachstan schon hat kennenlernen dürfen. Auf der Strasse in der Nähe des Aralsees musste er mit ansehen, wie ein Auto mit einem Pferd kollidierte. Das Auto war nachher kaputt und das Pferd tot, mit zerrissenen Körperteilen, was garantiert keinen schönen Anblick bot. Dies nachdem die Reisenden schon am gleichen Tag eine Kollision mit einer Kuh mit ansehen mussten.

Gestern haben wir uns beim Kastejev Museum getroffen, wo uns Catherin Rezhnikova freundlicherweise eine Führung offerierte, in Erstklassigem Englisch. Das schreib ich nur, weil sie sich immer schämte und sagte, ihr Englisch sei sehr schlecht. Im Gegenteil, lobte ich sie immer wieder und ermunterte sie ihre Geschichten zu den Werken weiterzuerzählen. Dabei konnte ich auch noch einiges Dazulernte, das ich auch nach dem fünften Besuch in besagtem Museum nicht wusste. Zum Beispiel bei den traditionellen kasachischen Exponaten gibt es spezielle Flaschen für die gegorene Stutenmilch. Die gleichen alten Lederflaschen, sind auch aus Leder hergestellt, verfügen aber auf den Seiten über konische Zusätze, die beim Reiten und folgenden Schütteln des Inhalts und Druckaufbaus verhindern, dass der Zapfen wie bei einer Champagnerflasche davonfliegt. Weiter beschrieb Catherine ins Detail die Kunst Anfangs 20.Jahrhunderts, an Werken, die die Veränderungen Kasachstans mit dem Kommen des Kommunismus zeigten. Die ganzen Maschinen, die neben den Jurten zu sehen sind, wie die Turksib gebaut wird. Am Ende der Führung, als wir im Raum ankamen, wo zuvor die Contemporary (zeitgenössische) Ausstellung war befindet sich jetzt die Geburtstags Ausstellung eines kasachischen, traditionellen Künstlers. Wegen des Wechsels der Direktion verschwand die gesamte Ausstellung der jüngsten kasachischen Künstler. Catherine schämte sich etwas für die neue Direktion, welche der Identitätsfindung der jungen Künstler schaden könnte. Grundsätzlich werde das Museum aktuell von der jungen zielstrebigen Kasachstanerin geführt, als ob es eine wirtschaftliche Institution sei und Profit machen müsse. Aber das Verschwinden der Zeitgenössischen Werke hat auch eine politisch-traditionelle Komponente.

Die Regierung ist bestrebt ein Nationales, patriotisches Kasachstan zu gestalten und sieht ihre Werte mehr in der traditionellen kasachischen Handwerkskunst und der Mythologie. Verehrt werden da Helden und Krieger, wie auch hart arbeitende Bauernfamilien. Nichts daran ist schlecht und braucht auch nicht verurteilt zu werden. Schade ist bloss, dass nicht ein friedliches Nebeneinander stattfinden kann. Denn die Zeitgenössische Kunst ist ein wichtiger Faktor in diesem Land. Insgesamt wird einfach der Geldhahn zugedreht, wenn die politischen Wertehüter der Meinung sind, dass etwas nicht der Nation dient.

Die Spanier schauten sich die Ausstellung an, anschliessend gingen wir zusammen etwas essen und mit Pablo habe ich mich über Globalisierung, die Probleme, die meiner Ansicht nach in Europa bestehen, unterhalten. Dabei war sicher ein Schwerpunkt die Zunahme an Kontrollen in den zentraleuropäischen Ländern, wie auch die Verstärkung der schon jetzt markanten Polizeistaaten, wozu ich auch die Schweiz an einer der ersten Stellen erwähnen würde, anschliessend Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien. Dabei haben wir uns über den Vorfall von Genua unterhalten und auch das Heiligendamm Debakel. Die Ursache des Problems haben wir aber nicht in solch kurzer Zeit lokalisieren können. Der Kapitalismus, die Gewinnmaximierung und Passivität eines grossen Teils der Bevölkerung ist meiner Meinung nach mitschuldig.

Interessant ist für mich auch der Unterschied in Sachen Reaktion und Aktion auf ein bestehendes System, aktuell gesehen aus der Perspektive Kasachstans. Während in der Schweiz jeder seinen Kommentar in der Zeitung veröffentlichen kann und die Kräfte immer aufgehoben werden, in Gegendarstellungen, gilt hier in Kasachstan eine andere Gesetzmässigkeit. Diese ist gewachsen in der Zeit des Kommunismus, somit bestand keine Alternative, als die bestehende Meinung der Partei. Auch jetzt gibt es wenig oppositionelle Stellung in Zeitungen oder anderen Informationskanälen. Die Bevölkerung hat auch vom unglaublichen Wirtschaftlichen Aufschwung des Landes profitiert und ist sich nicht gewohnt, sich in Staatliche Diskussionen einzumischen. Der einzelne Bürger, Taxifahrer oder Bauer empört sich natürlich hinter vorgehaltener Hand über die Situation und bezeichnet die Regierung auch mal als Banditen.

Mein Gedanke, zu den formulierten Punkten, oder meine Fragestellung ist es, wie könnte die Schweiz z.B in einigen Punkten von einem Land wie Kasachstan lernen und umgekehrt. Ich persönlich sehe kein grosses Wachstum in der kleinlichen Politik der Schweiz und der Scheinheiligkeit einer Wandelhalle des Bundeshauses, wo einfach Business gemacht wird und den Schlammschlachten aktueller politischen Themen, in denen eine Partei, meistens die Rechte/Bürgerliche zuerst eine Kampagne startet und dann die Linke Gegenargumente liefert. Was ist das Ziel einer solchen Politisierung? Soll den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in diesem meiner Meinung nach Pseudokonsens aufgezeigt werden, wie interessant und Spassvoll Politik ist? Hier in Kasachstan freut es mich, wenn ich junge Menschen sehe, die sich überhaupt wagen ihre Meinung zu formulieren. Und ich sehe hier sehr viele Menschen mit grossem Interesse, auch etwas zu bewegen, obschon hier die Hürden x-Mal höher sind, als in der Schweiz und eine komplett andere Art des Durchsetzungsvermögens und der Beharrlichkeit gefragt sind.

Nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause machte ich mich auf den Weg ins Soros Center, wo eine Vernissage von den Künstlern Galim Madanov und seiner Frau Zauresh Madanova stattfinden sollte. Da das Wetter umgeschlagen hatte und es ziemlich kalt wurde und in Strömen regnete war der Weg zur Satpaeva Strasse hinunter kein Spass. Ich war schon ziemlich durchnässt, als endlich ein Taxi hielt, was in der Rushhour nicht immer einfach ist, welches mich hinauf zum Center mitnahm.

Die Ausstellung war gut und eine Menge Kulturinteressierte waren anwesend. Die Arbeiten bestanden aus Ölbildern, Videoarbeiten und Fotos. Das Künstlerpaar ist 50 jährig und hat schon eine Menge gemacht, was auch aus den Aufgelegten Katalogen ersichtlich war. Mit vielen Leuten konnte ich mich unterhalten, auch Valeria war bester Laune. Endlich traf ich auch Regina Shepetya, von der ich erfahren habe, dass sie eben in den USA verweilte und nun wieder hier ist. Von ihr habe ich letzte Woche Videoarbieten gesehen, von denen ich sehr fasziniert war. Valeria stellte mir am späteren Abend noch alle Englischsprechenden Anwesenden vor und dabei war auch der Chef der Soros Fundation Kasachstans, sowie ein junger Spanier, welcher zum ersten Mal in Kasachstan ist und als Tourist mit zwei weiteren Spaniern durchs Land reist. Eben hat er, so erzählte er mir den Aralsee besucht, wo er sich wie auf einem anderen Planeten fühlte. Seine Reise geht nun weiter nach Norden über Semipalatinsk, wo er mit einem Geigenzähler die Nuklearstrahlung messen will. Ein aufgestellter Zeitgenosse.

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Nach dem Mittagessen in einem kleinen kasachischen Restaurant an der Abaja für 300 Tenge (Komplex-Menü) machte ich mich auf Richtung Furmanova Strasse, Samal 2. Samals sind neue Stadtteile Richtung Berge. Mein Ziel das „Deutsche Haus“ habe ich nach grossen Irrwegen durch den 2.Samal und x-fachem Nachfragen dann gefunden. Es ist sogar schön ersichtlich angeschrieben.

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Ich konnte gleich ins Büro von Ulf Segers, dem neuen Direktor der Deutschen Allgemeinen Zeitung gehen. Dieser wollte gerade seinen Pullover anziehen und sich auf dem Weg zu einer Pressekonferenz machen. Weil ich Zeit hatte bin ich gleich mit ihm und einer Praktikantin aus Krasnojarsk (RUS) mitgefahren zu dieser Konferenz, wie ich im Taxi erfahren sollte handelt es sich um ein Gespräch eines deutschen Abgeordneten des europäischen Parlaments. Wir landeten zuerst an der falschen Adresse und mussten nochmals Nachfragen, bis wir dann im Gebäude beim Neuen Platz den Raum mit der Interfaks Kasachstan Pressekonferenz fanden. Die Konferenz hatte schon begonnen und eifrige lokale Journalisten stellten eine Frage nach der Anderen. Es wurde immer alles für den Parlamentarier, mit Name Cem Özdemir auf Englische übersetzt, und wenn er etwas sagte wurde es gleich auf Russisch übersetzt. Es ging um darum, wie sich die EU zu Kasachstan verhält, wobei er nicht allzu gross ins Detail ging.

Weil ich nicht von Anfang an dabei war habe ich nicht komplett verstanden, um was es ging. Insgesamt sei aber die EU an einer Partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Kasachstan sehr interessiert, sagte Hr. Özdemir.

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Nach der Konferenz habe ich Ulf gefragt, ob ich nicht kurz mit dem Parlamentarier sprechen könne, welcher türkischer Abstammung ist und in Deutschland mit den Grünen politisiert. Ulf meinte darauf, dass er sicher einen sehr gedrängten Zeitplan hätte, ich solls aber versuchen. Das tat ich und stellte mich als Nicht-Europäer vor, worauf Hr. Özdemir gleich spassig meinte, dass die Schweiz leider noch kein Mitglied der EU ist. Ich konnte fünf Minuten mit ihm sprechen und hätte gerne eine Stunde daraus gemacht. Er war sehr differenziert und sprach mich beim Thema Schweiz gleich auf das Blocher-Problem an, welches also auch die EU beschäftigt. Dabei bot er mir Unterstützung an, sobald wir in der EU wären, könnte diese bei solchen Blocher- oder ähnlichen Problemen helfen. Zum Abschied sagte ich ihm noch, anspielend auf seine Wurzeln, dass wir in der Schweiz sehr gute Kebaps hätten. Leider ist er aber Vegetarier. Jetzt habe ich zum ersten mal einem EU-Parlamentarier die Hand schütteln können.

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Gestern war Zügel tag. Dank der grossen Unterstützung durch Dagmar, einer sehr aktiven Frau aus Deutschland, die unter Anderem den besten deutschsprachigen Reiseführer über Kasachstan geschrieben hat, lebe ich nun in der Wohnung ihres Freundes Marat, welcher jetzt für drei Monate nach Deutschland gereist ist.

Aus Datenschutzgründen werde ich kein Foto seiner Wohnung posten, obschon das sehr sehenswert wäre. Dafür werde ich ein paar beschreibende Worte, also sicher auch Adjektive zur besseren Vorstellung verwenden. Im Wohnzimmer besteht der Boden wie vielerorts in Kasachstan aus einem Plastikbelag, welcher einen Parkett imitieren soll. An der Wand gibt es soviel, dass ich ziemlich abkürzen muss. Als Erstes sind die vielen Tiergeweihe zu erwähnen. Ein Steinbockgehweih, ein Widdergeweih, dann kleinere, bei denen ich nicht genau weiss, welche Tiere es sind, aber irgendwelche Arten von Bergziegen werden es wohl gewesen sein. Genau, das grosse Hirschgeweih zwischen eingerahmten Fotos mit Berg – und Gletscherlandschaften hätte ich beinahe vergessen. Hinter dem Bett ist ein komplettes Bärenfell mit Kopf und Pranken an die Wand genagelt und ein Fell einer solchen Bergziege. Oberhalb des Bären in kleinen Rahmen befinden sich 10 tropische Schmetterlinge.

Ein schöner Schrank mit Glasfenstern beherbergt Bücher von Turgenjew, Suworow, Shakespear und vielen Anderen. Ein grosser Teppich hängt über dem Sofa, welches sich zu meiner Linken befindet. Ich sitze am kleinen Tischchen mit einem Tüchlein belegt, ähnlich dem „Glarner Tüechli“. Vor mir der TV und DVD Spieler, oben rechts ein Regal mit der Musiksammlung von Marat, welche er systematisch auf einem Blatt Papier beschrieben hat. Auch eine Sammlung Foto CD’s gibt es, die die verschiedensten Expeditionen in die Berge Kasachstans dokumentieren. Vor dem Fenster steht noch eine dieser alten Nähmaschinen, welche mit dem Fuss betrieben werden können, die man sonst aus Schwarzweissfilmen kennt.

Die Küche besteht aus Gasherd, grossem Kühlschrank und Mikrowelle. Eine Menge Pfanne und Teller gibt es, wobei kein Teller dem Anderen gleicht.

So ich hoffe, ich habe nicht zuviel vergessen. Die Lage des Hauses ist die Kreuzung Jandossowa/Imanowna. Wobei die Jandossowa eine der Wenigen schräg verlaufenden Strassen Almatys ist. Die Wohnung ist im ersten Stock. Gleich unten an der Ecke zum nächsten Haus hat es einen kleinen Lebensmittelladen, wo ich gestern Zucker und Öl gekauft habe. Leider habe ich vergessen richtigen Schwarztee zu kaufen. So muss ich nun noch mit demjenigen von Marat vorlieb nehmen, welcher ein Apfelaroma hat. Im Laden wurde ich nett begrüsst und wieder einmal darauf aufmerksam gemacht, dass mein Russisch nun doch gut genug sei und ich es lassen solle und besser kasachisch lernen soll. Ich habe der Verkäuferin gedankt und ihr gesagt, ich werde mir bis zum nächsten Mal Argumente für und wieder durch den Kopf gehen lassen.

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